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Interview mit DSA Gabriele Gottwald-Nathaniel, MAS, gabarage – upcycling design

Beitrag von unserer Bloggerin Daniela Capano

Feuerwehrschläuche werden zu Schaukeln, Planen, Stoff- und Lederreste werden zu Rucksäcken und Taschen: das ist gabarage!

Interview mit Gabriele Gottwald-Nathaniel
gabarage steht für upcycling mit Design

„Lehnen von Sesseln und Feuerwehrschläuche werden zu Schaukeln, Rolltreppen werden zu Sofas, Planen, Stoff – und Lederreste werden zu Rucksäcken und Taschen und Vielem mehr, Bücher zu Hockern, aus verschiedensten Altmaterialien wird kreativer Schmuck“, so beschreibt gabarage – upcycling design ihr Upcycling von Altmaterialien, die (wieder) zu Designprodukten werden. Und das alles wird in Handarbeit in Österreich hergestellt.

Zum Interview haben wir Frau DSA Gabriele Gottwald-Nathaniel, MAS gebeten, die gabarage – upcycling design als Projekt vor fast 20 Jahren mitgegründet hat, 2011 ein gemeinnütziges social business daraus gegründet hat und heute noch ehrenamtlich als Vorsitzendes des Vorstandsfungiert. Die Weiterentwicklung des Nachhaltigkeitsgedankens ist ihr dabei ein wichtiges Anliegen.

Frau Gabriele Gottwald-Nathaniel, als Sie die Idee zu gabarage – upcycling design hatten, gab es in Österreich keine vergleichbaren Produkte, die sich mit dem Upcycling von Altmaterialien zu Designprodukten beschäftigten. Wo kam diese Inspiration gabarage zu gründen? Wie hat sich das Produktangebot vom Start bis heute verändert?

Nächstes Jahr feiern wir mit gabarage – upcycling design 20-jähriges Bestehen. Entstanden ist das Unternehmen aus einer Idee. 2002 hat die europäische Kommission das Programm EQUAL1 gestartet, dabei ging es um die (Re-)Integration besonders benachteiligter Personengruppen in den Regelarbeitsmarkt.

Ich war damals Standortleitung in einer der größten Suchtkliniken in Österreich – also eigentlich in Europa – dem Anton-Proksch-Institut. Gerade suchtkranke Personen haben oft wenige Chancen am Arbeitsmarkt. Daher wollten mein damaliger Chef und ich unsetwas Innovatives, Kreatives einfallen lassen, das zeigt, dass die Suchtkranken Menschen mit Ressourcen und Defiziten sind wie wir alle. Wir wollten einen Betrieb gründen, bei dem die Erwirtschaftung von Eigenerlösen eine bedeutende Rolle einnimmt. Durch Zufall nahm ich an der ARS-Electronica teil und bin dort auf eine Installation getroffen, wo an einer Wand ein alter Ski als Garderobe gehangen ist.

Ich habe mich dann sehr viel damit beschäftigt, wie man Ressourcen weiterverwenden kann und bin auch eher zufällig auf Beispiele aus Südamerika gestoßen, wo das Upcycling auf eine besondere Art gelebt wurde. Aus Mangel an Produkten und Materialien werden dort aus alten Plastikflaschen z. B. Hütten gebaut und vieles mehr.

Ich habe dann mit einer Kollegin gemeinsam nach so etwas gesucht. Sie hat den Kontakt zur „Wiener Wochenklausur“ gesucht. Eine KünstlerInnen-Gruppe, die angelehnt an Josef Beuys Soziales auch als Intervention in der Kunst sieht. In einem gemeinsamen, manchmal durchaus kontroversen Prozess, entstand das Konzept von gabarage, wie das Projekt damals hieß. Der heutige Name gabarage- upcycling design entstand erst später.

Wir waren damals die Ersten in Österreich und ich glaube damals auch in Europa, die soziale und ökologische Nachhaltigkeit miteinander verknüpft haben. 2002 hat man uns gefragt, was unsere Leute überhaupt „basteln“. Damals mussten wir noch erklären, was der Unterschied zwischen Recycling und Upcycling ist – das weiß man mittlerweile. Heute redet man von der Verlängerung von Produktzyklen, auch das war damals noch kein Begriff. Heute hat Upcycling den Hippfaktor.

Wir nutzen Produkte, Materialien, die sonst weggeworfen würden

Wir nutzen Produkte, Materialien, die sonst weggeworfen würden, interpretieren sie neu, dabei bestimmt das Material das Produkt. Es ist ein umgekehrter Designprozess. Das allererste wirkliche Produkt, das ein Kassenhauer wurde, war unsere Pinvase, (namens kegelVase) aus ausgedienten Kegelpins.

Das ist ein ewiger Verkaufsschlager genauso wie die Fußballübertöpfe. Wir haben aber auch Produkte, die sind nur so lang produzierbar, solang das Material vorhanden ist. Wir haben über 1.500 m2 Lager mit unterschiedlichen Materialien.

„Alle(s) braucht eine 2. Chance“ ist ihr Motto. Das ist sehr passend, weil bei gabarage nicht nur Ressourcen eine zweite Chance bekommen. Sie bilden als sozialintegrativer Betrieb in ihrer Manufaktur Menschen aus, die es am Arbeitsmarkt schwerer haben. Welche Lehrberufe bieten Sie an und welche Menschen nehmen Ihr Angebot in Anspruch?

Wir beschäftigen benachteiligte Personengruppen nicht nur, sondern bilden sie auch aus. Wir nehmen die Zielgruppen, die sonst nicht so gerne am Arbeitsmarkt genommen werden, z. B. Menschen, die Suchterkrankungen haben, psychiatrische Erkrankungen, Jugendliche mit einem problematischen Substanzkonsum und psychiatrischen Erkrankungen, Menschen mit Fluchthintergrund.

Und wir bieten neben fallweiser geringfügiger Beschäftigung zum Einstieg und (wieder)erlernen von Tagesstruktur, befristete Arbeitsplätze und berufsnahe Qualifizierung mit normaler vollversicherungspflichtiger Anstellung und 14 Gehältern und seit drei Jahren auch Lehrstellen an.

Wir bilden derzeit Tischlerinnen und Tischler aus, dann haben wir Bekleidungsgestalter/in Damenbekleidung Einzelhandelskaufmann/Einzelhandelskauffrau, Bürokaufmann/Bürokauffrau. Wir sind gerade bei Überlegungen von auch E-Commerce und im Projekt in St. Pölten werden wir Lehrlinge in der Gastronomie ausbilden, die in Kooperation mit dem Supperiör – Suppendesign arbeiten und dort Bio-Suppen, Eintöpfe und Currys verkaufen.

In St. Pölten möchten wir mit ,,chancenZUKUNFT St. Pölten“ besonders NEETs-Jugendliche unterstützen, die aus dem Schulsystem herausgefallen sind oder keine Arbeit finden, weil sie multiplepsychosoziale Problemlagen haben. Mit dem Begriff NEETs werden Jugendliche im Alter zwischen 15 und 24 Jahren bezeichnet, die sich weder in Beschäftigung, Ausbildung oder Trainings befinden (Not in Education, Employment or Training).

Unsere Produkte müssen im b2b und b2c Bereich reüssieren. Markttauglichkeit ist dabei wesentlich. Sie müssen sich verkaufen! Wir haben kein großes Spendenaufkommen, da ist kein großer Wohlfahrtsträger dahinter, sondern ein gemeinnütziger Verein – ein gemeinnütziges social business.

Das Konzept in St. Pölten hat sich bewehrt. Wir haben im 1., 2. und im 3. Durchlauf fast eine Vermittlung von 100 % in den Regelarbeitsmarkt oder eBildungssystem, mit ganz wenigen Ausfällen.

Sie sind schon seit über 18 Jahren in diesem Feld tätig. Hat sich in Hinblick auf sozialökonomische, sozialintegrative Betriebe, Angebote für benachteiligte Personengruppen und den Arbeitsmarkt was verändert?

Die Experimentelle Arbeitsmarktpolitik und die Aktion 8000 waren die Vorläufer der heutigen Sozialen Unternehmen. Aus ihnen ensstanden in Folge die ersten Sozialökonomischen Betriebe (SÖB’s), Gemeinnützige Beschäftigungsprojekte (GBP’s), arbeitsmarktpolitischen Beratungs- und Betreuungseinrichtungen (BBEs) sowie Qualifizierungsmaßnahmen.

Die Erwirtschaftung von Eigenerlösen spielte bei den Sozialökonomischen Betrieben immer eine wichtige Rolle. Aber die Entwicklung ist natürlich nicht stehen geblieben. In der jüngeren Vergangenheit sind unterschiedliche Start-ups, Social Start-ups und Social Businesses dazugekommen.

Die Finanzierungsstrukturen sind sehr divers. Unsere unterschiedlichen Programmen werden anteilsmäßig vom Bundesministerium für Arbeit, dem AMS, der Sucht- und Drogenkoordination Wien gemeinnützige GmbH (SDW) oder auch dem Europäischen Sozialfonds oder der Stadt St. Pölten mitfinanziert. Ein wesentlicher Teil ist aber die Erwirtschaftung von Erlösen.

In unserem Betrieb geht es um Menschen, die einen besonderen Unterstützungs- und Förderbedarf haben

Dabei muss aber immer aufgezeigt werden, dass es in unserem Betrieb um Menschen geht, die einen besonderen Unterstützungs- und Förderbedarf haben. Wir bieten Sozialarbeit, psychosoziale Beratung und Begleitung und Sozialpädagogik an. In vielen sogenannten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen werden diese Leistungen angeboten. Dadurch unterscheiden sie sich häufig von social Startups.

Ich bin von meiner Grundausbildung diplomierte Sozialarbeiterin, habe eine therapeutische Ausbildung und Sozialmanagement studiert. Ich bin überzeugt davon, dass die Ressourcenorientierung , also nicht nur die Defizite der Betroffenen zu sehen, sondern auch ihre Fähigkeiten, Möglichkeiten und damit , auch was sie leisten, erwirtschaften können, sich zunehmend verändert hat in den letzten Jahren.

Auf welchen Erfolg sind Sie mit gabarage – upcycling design am meisten stolz?

2004 war das Förderprogramm für unseren damaligen sozial-ökonomischen Betrieb beendet. Seitdem hat gabarage einen Veränderungsprozess durchlaufen und operiert nun wie viele andere Firmen. Mit dem Unterschied, dass die Ausrichtung der spezifischen sozialen Verantwortung, die soziale und ökologische Nachhaltigkeit die wesentliche DNA unseres Betriebs ist.

Wir haben mit 10 MitarbeiterInnen begonnen, mittlerweile haben wir über 60 – also wir sind nicht mehr klein. Gabarage – upcycling design, das sind wir alle. Die Erfolgsgeschichten schreiben wir gemeinsam, mit unseren MitarbeiterInnen, den vielfältigen Designs und das ist ein großer Erfolg.

Wir haben schon einige Preise eingeheimst

Bei unserer ersten Teilnahme an der großen Designmesse in Österreich – die Blickfang – den 1. Preis für das beste Standkonzept und -design erhalten oder auch schon den Preis für das beste Einzelprodukt – unsere Bücherlampe – gewonnen. Obwohl wir nicht aus der klassischen Designszene kommen. Das macht schon stolz.

Aber auch was innovative Konzepte für spezifische Zielgruppen haben wir schon Preise gewonnen. Vor einigen Jahren für das Konzept „Eine Gesellschaft für eine 2. Chance“ bei „Ideen gegen Armut“ – der jetzt heißt es „Get active award“ heißt – den 1. Preis.

Das sind Dinge, die uns stolz machen und dann sind es natürlich die ganzen einzelnen Geschichten. So viele individuelle Lebensgeschichten in den nun bald 20 Jahren. Wenn ich nach Jahren irgendjemand von unseren ehemaligen MitarbeiterInnen auf der Straße treffe der sagt: Frau Gottwald-Nathaniel, das war so wichtig, dass ich bei gabarage war, jetzt bin ich schuldenfrei und habe eine Wohnung, dann weiß man, wofür man die Arbeit macht.

Kurz nachgefragt:

  • In Ihrem Kühlschrank befindet sich immer…?
    Milch – BIO Milch
  • Welche 3 Dinge sind Ihnen aktuell besonders wichtig?
    Meine beiden dreijährigen Enkelkinder sind mir sehr wichtig! Dann das Thema Corona -Corona Schutzimpfung und es ist mir wichtig, ein sicherer Arbeitgeber zu sein.
  • Ich wäre gerne für einen Tag…
    Bundeskanzlerin von Österreich. Man kann ja immer Kritik anbringen, aber es wäre interessant zu wissen, wie es ist, auch wenn nur einen Tag.
  • Zuallererst nach dem Lockdown: Konzert oder Kino?
    Konzert – Im Theater am Park (draußen)
  • Ihr Lebensmotto?
    Alles braucht eine 2. Chance!
  • Wenn Sie an Superkräfte denken: Welche besondere Fähigkeit oder Fertigkeit hätten Sie gerne?
    Superkräfte? Ich würde gerne fliegen können, fliegen wäre super!
  • Was war der beste Rat, den Sie jemals in Ihrer Laufbahn erhalten haben?
    Wer, wenn nicht du Gabriele?
  • Die seltsamste Eis-Sorte, die Sie in diesem Sommer gegessen haben?
    Ich glaub, gar keine von den seltsamen, aber ich esse immer eine Kombination aus Kaffeeeis und Zitrone. Ich finde es schmeckt perfekt.
  • Nachhaltig Leben heißt für mich…
    Ganz bewusst drauf zu schauen, woher kommen die Lebensmittel, die ich kaufe, wo kommen die Kleidungsstücke her, wie sind die produziert. Es ist schon eine bewusste Auseinandersetzung.
  • Welches Ihrer Designstücke ist immer mit dabei?
    Ich liebe die gabarage-Taschen. Ich habe eigentlich nur gabarage -Taschen.