Beitrag von unserer Bloggerin Daniela Capano
Interview mit Nachhaltigkeitsforscher Dr. Thomas Brudermann
Wir trafen Herrn Brudermann bei der Umwelt.Wissen Tagung 2025 zum Thema Klimabildung in Bewegung, wo er den Pädagoginnen und Pädagogen die Klimapsychologie näherbrachte.
Thomas Brudermann ist Psychologe und Nachhaltigkeitsforscher an der Universität Graz. Er gilt als Experte für menschliches Entscheidungsverhalten und kennt die inneren und äußeren Widersprüche im Umgang mit zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen, die er in seinem humorvollen Sachbuch „Die Kunst der Ausrede“ aufzeigt.
Herr Dr. Brudermann, Sie haben bei der 10-Jahresfeier unserer Initiative wir-leben-nachhaltig den Impulsvortrag “Dreht sich menschliches Verhalten im Kreis?” gehalten. Wer die aktuellen Medienberichte verfolgt, bekommt den Eindruck, dass Umweltthemen ganz an den Rand gedrängt werden. Warum glauben Sie, wird die Dringlichkeit in Klima- und Umweltfragen nicht erkannt?
Wie bei allen Themen gibt es auch hier mehrere Ebenen. Einerseits nehme ich schon sehr stark einen fossilen Lobbyismus wahr, der das Thema bewusst „abschießt“. Es gibt Lobbyorganisationen, die bewusst Falschinformationen rausgeben, um so auf politische Prozesse zu wirken und bei Bürgerinnen und Bürgern eine Verunsicherung und eine gewisse Skepsis, ob denn wirklich alles so schlimm ist wie behauptet wird, auslösen.
Eine weitere ist, dass Umwelt-, aber vor allem Klimathemen nicht so gut in die Medienlogik passen. Medien berichten gerne Neues und die Klimaproblematik ist schon lange da. Es war eine Zeit lang ein sehr guter Aufmerksamkeitsbringer. Mit der „letzten Generation“ wurde es nochmal wiederbelebt, aber das Thema nutzt sich ab.
„Die Medienlogik funktioniert mit kurzfristigen, neuen Themen, nicht mit langfristigen Themen wie die Klimaproblematik“
Umweltthematiken funktionieren da noch etwas besser, weil sie viel greifbarer sind. Da hat man direktes Feedback, zum Beispiel beim Mülltrennen oder beim Sauberhalten vom Straßenraum. Da sieht man gleich Ergebnisse. Die Bemühungen beim Klimawandel sieht man nicht direkt an den globalen Treibhausgasemissionen und das macht es schwieriger. Da gibt es eine gewisse Ratlosigkeit auf vielen Ebenen.
Braucht es also eine gewisse „Panik“, damit wir Menschen aktiv werden? Oder ist das Gegenteil der Fall und wir stumpfen immer mehr ab?
Ich weiß nicht, ob Panik das richtige Wort ist. Panik ist generell nicht der beste Ratgeber, weil wir Menschen im Panikmodus nur kurzfristig. sehr fokussiert und tunnelblickartig denken können. Wir brauchen aber eine langfristige, breite Perspektive, um die Komplexität des ganzen Themas „Klimaschutz“ zu verstehen. Darum passt Panik nicht. Aber als Initialzünder kann sowas wie Angst, Panik oder große Sorge schon funktionieren. Weil es aufrüttelt und man merkt, dass eigentlich schon jetzt was passieren muss.
Negative Emotionen stumpfen generell ab. Man sieht das bei jeder Naturkatastrophe, zum Beispiel einem Erdbeben oder einer schlimmen Überflutung oder auch wenn ein Krieg ausbricht. Das Medieninteresse ist, ebenso wie das öffentliche Interesse, erst einmal groß. Das emotionale Engagement ist in den ersten Tagen stark. Aber all das lässt auch sehr schnell nach. Hier ist der Ukrainekrieg das beste Beispiel: Die ersten Tage nach Beginn hat es kaum andere Themen gegeben – wir waren alle aufgeregt. Daran gewöhnt man sich sehr schnell. Man stumpft ab. Und das ist auch beim Klima ähnlich. Wenn man vom Problem zum ersten Mal hört, ist es schlimm. Aber dann springen unsere Selbstschutz- und Verarbeitungsmechanismen an und die helfen nur bedingt bei der Problemlösung.

Ein nachhaltiger Lebensstil wird mit Verzicht gleichgesetzt – und wir wissen, niemand verzichtet gerne. Wie kann jede und jeder von uns es am besten angehen, unser Verhalten in Richtung Nachhaltigkeit zu ändern. Gibt es Wege, sich selbst auszutricksen?
Das Verzichtsnarrativ funktioniert aus meiner Sicht nur bedingt. Bei bestimmten Zielgruppen vielleicht, aber nicht für die breite Masse, die sich in einer Konsumgesellschaft wiederfindet. Da ist Verzicht immer mit Verlust, Einschränkung und Nachteilen verbunden. Ich bin der Überzeugung, dass wir weg sollten von der Idee des Verzichts, hin zur Idee des Verbesserns Ein Beispiel: Ich persönlich habe irgendwann damit angefangen kein Fleisch mehr zu essen und habe mir anfangs gedacht „Ich verzichte jetzt einfach darauf und schaue, wie es ist.“ Mir war dann rasch klar, dass es kein Verzicht ist, sondern ein Gewinn. Ich hätte mir mit diesem Mindset des Gewinns von Beginn an leichter getan. Dass ich nicht sage, ich lasse jetzt das Fleisch weg, sondern ich füge Neues hinzu. Gerade bei der Ernährung geht es darum, neue Sachen auszuprobieren. Und das ist ein ganz anderes Mindset.
„Das richtige Mindset macht vieles einfacher! Statt sich zu denken, darauf verzichte ich jetzt, sollte man sich sagen, das probiere ich jetzt aus und verbessere ich!“
Ich trickse mich selbst aus bzw. mache es mir mit dem richtigen Mindset leichter. Statt dem negativen Verzichten, sehe ich es positiv und probiere Neues. Und ich würde das Wort auch aus der Klimadebatte streichen, weil sobald wir von Verzicht reden, erleben wir Ablehnung. Reden wir doch davon, dass wir was verbessern und vor allem langfristig verbessern, sodass wir für unsere Kinder, Enkel und Urenkel einen schönen Planeten erhalten.
Sie berichten auch über eine falsche Gewichtung bei der Eigeneinschätzung von Menschen betreffend ihr persönliches Engagement für den Umweltschutz. Stichwort: Abfalltrennung vs. Flugreise. Wie erklärt sich das die Psychologie?
Da gibt es ein paar Faktoren, die hier einfließen: Die meisten von uns haben ein positives Selbstbild. Das heißt, wir wollen uns selbst gut und positiv wahrnehmen, uns selbst mögen. Und auch das, was wir tun, wollen wir mögen. Das Gefühl haben, dass man selbst schon ok ist und die Dinge richtig macht. Das ist auch ein psychologisch gesunder Mechanismus.
Und dann haben wir den Fall, dass gerade beim Recycling, Licht ausschalten oder Wasser sparen das Feedback des Handelns immer sehr unmittelbar ist. Wenn ich den Abfall trenne, dann sehe ich mein funktionierendes Trennsystem. Ich sehe, dass alles richtig drinnen liegt und das finde ich gut so. Und wenn ich das Licht ausschalte, dann sehe ich, dass es finster wird. Das Stromsparen wird damit sichtbar und fühlbar.
Das habe ich bei vielen anderen Handlungen nicht. Wenn ich mit dem Auto fahre, entstehen klimaschädliche Abgase. Die Klimawirkung nehme ich aber nicht direkt wahr. Und beim Fliegen genauso. Das heißt, intuitiv schätzen wir die Dinge falsch ein. Weil es intuitiv für unser „Steinzeitgehirn“ schwer greifbar ist.
Und dann kommt noch das moralische Lizensieren dazu. Das Gefühl, ich tue eh schon so viel für Umwelt und Klima, haben viele Menschen. In einer deutschen Studie waren es 66%, die anderen 33% waren wahrscheinlich die richtigen Ökos. Also diejenigen, die das Gefühl haben, sie tun noch nicht genug. Das ist etwas menschlich ureigenes, dass man sich die Dinge schönredet und die eigenen inneren Dissonanzen auflöst. Das wird durch Außen noch verstärkt. Wenn die Werbung uns erzählt, dass wir doch bitte den nachhaltigen Einweggrill kaufen sollen, weil er so öko ist, dann nehmen wir solche Erklärungen und Vorschläge dankbar an. Weil es mit Komfort oder wenig Komfortverlust verbunden sind.

Der Jahreswechsel rückt näher und viele Menschen starten mit guten Vorsätzen ins neue Jahr. Nach wenigen Tagen oder Wochen sind die meisten Vorsätze schon wieder vergessen. Warum ist das so?
„Das Ändern von Gewohnheiten ist schwierig. Leichter fällt es uns, wenn sich Rahmenbedingungen und Umstände ändern. Da steigen die Erfolgschancen.“
Gewohnheiten zu ändern ist immer schwer. Es kann funktionieren, mit viel Selbstdisziplin und mit Zwischenzielen. Aber es ist immer schwer, solange sich die Rahmenbedingungen und die Umstände nicht verändern. Wenn ich jetzt z.B. mit dem Rad statt mit dem Auto fahren möchte und ich habe aber nach wie vor keine guten Radwege und gerate oft in gefährliche Situationen mit Autofahrenden, dann kann die Motivation sehr schnell wieder weg sein und man fällt in die alten Muster. Es braucht meistens für die Gewohnheitsänderung auch eine Änderung der äußeren Umstände. Das kann ich nicht immer beeinflussen, aber ich kann dafür vielleicht Situationen nutzen, wo sich äußerlich sowieso was ändert. Also zum Beispiel, wenn ich einen neuen Job anfange, dann ändert sich mein Arbeitsweg. Da habe ich die Chance, dass ich mir neue Gewohnheiten antrainiere, weil sich ohnehin von außen etwas ändert. Ein weiteres Beispiel wäre ein Wohnortwechsel oder die Geburt des ersten Kindes. Das sind Situationen, wo die Chance höher ist, dass sich neue Gewohnheiten entwickeln.
Kurz nachgefragt:
- Frühaufsteher oder Nachteule?
Nachteule, die manchmal früh aufstehen muss - Wenn ich nicht diesen Job hätte, wäre ich …
wahrscheinlich Softwareentwickler geworden, wäre es aber wahrscheinlich nicht geblieben. Ich würde versuchen etwas Sinnstiftendes zu machen. - Mein bisher größter Aha-Moment …
Die Fridays for future – Bewegung, das hat bei mir einen Nachdenkprozess ausgelöst, der sehr viele Dinge geändert hat: dass ich kein Fleisch mehr esse und nicht mehr fliege. Auch wenn ich auch davor gewusst habe, dass alles umweltrelevant ist. Aber es waren diese jungen Menschen, die aufgeschrien haben und gesagt haben, OK wir wollen auch noch auf diesem Planeten leben. - Als Superkraft hätte ich gern …,
dass ich mich in die Maschinenräume der Macht beamen kann – und dort unangenehme Fragen stellen. - Routine oder Abwechslung?
Abwechslung - Meine Lieblingsfigur?
Das ist der Öko-Hans, den wir uns selbst ausgedacht haben. Dabei geht es um Archetypen beim Thema Ausreden gegen Klimaschutz. Wir geben dabei diesen Ausreden ein Gesicht, nämlich mein Gesicht und das meiner Frau für die weiblichen Charaktere. Mit den Ausrede-Archetypen versuchen wir, die inneren Widerstände darzustellen. Der Öko-Hans ist die erste Figur, die im Spiegel einen Superhelden in Umwelt- und Klimaschutz sieht, wo aber die Handlungen im Alltag nicht ganz mithalten können. - Die größten Herausforderungen in der Klimakommunikation sind …
Lobbying und Desinformation fossilgetriebener Organisationen und die menschlichen psychologischen Mechanismen, die damit sehr gut zusammenpassen. - Ein Neujahrs-Vorsatz, den ich tatsächlich gehalten habe:
2020 habe ich mir vorgenommen, dass ich bis Ostern kein Fleisch esse. Und dann bin ich zum Vegetarier geworden.
Aktualisiert am 10.11.2025