Zum Inhalt Zum Hauptmenü

Partnerinnen & Partner

Interview mit Johann Lechner und Gerda Cara, GESA St. Pölten

Beitrag von unserer Bloggerin Daniela Capano

GESA steht für Gemeinnützige Sanierungs- und Beschäftigungs-GmbH, was kann man sich darunter vorstellen?

Johann Lechner und Gerda Cara sitzen am Küchentisch in der GESA
Interview mit Johann Lechner und Gerda Cara, GESA

Über 25 Jahre leitete Johann Lechner als Geschäftsführer  den Verein Wohnen, der 1991 mit dem Ziel gegründet wurde, Wohnraum für Menschen in Wohnungsnot zur Verfügung zu stellen.  Mit 2003 wurde die Gemeinnützige Sanierungs- und Beschäftigungs- GmbH (GESA), die sich mittels arbeitsnaher Beschäftigung und Qualifizierung für die Wiedereingliederung von Menschen einsetzt, die schon längere Zeit Arbeit suchen.

Unter dem Motto „Arbeitslose Menschen schaffen für Wohnungslose ein Zuhause“, einem Beschäftigungsprojekt mit TransitmitarbeiterInnen in der Wohnraumsanierung, wurden seit damals weit über 200 Wohnungen und Häuser für den Verein Wohnen oder für sozial benachteiligte Menschen saniert.

In den letzten Jahren gelang es dem 30-köpfigen GESA-Team, die Angebote weiterzuentwickeln und an die Bedürfnisse der arbeitsuchenden Menschen anzupassen. Heute bieten sie befristete Beschäftigungen in den Bereichen Sanierung, Grünraumpflege, Reinigung, Holzwerkstatt und Computer-Recycling an.

Frau Gerda Cara unterstützt derzeit die GESA bei der Öffentlichkeitsarbeit und dem Veranstaltungsmanagement im neuen „Haus des Lernens“ in St. Pölten.

GESA steht für Gemeinnützige Sanierungs- und Beschäftigungs-GmbH, was kann man sich darunter vorstellen? Was ist das Angebot der GESA?

Johann Lechner: Unser Ziel als sozioökonomischer Betrieb ist es, Menschen, die schon längere Zeit ohne Arbeit sind, durch passgenaue Angebote an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Und das Bedarf einer Unterstützung auf mehreren Ebenen.

Die Personen verlieren einen Teil ihres sozialen Umfelds, gehören nicht mehr dazu und haben das Gefühl, dass sie nichts mehr beitragen können. Dazu kommt oft die Kritik, dass sie sich nicht genug bemühen, Arbeit zu kriegen. Speziell bei Männern – die noch stärker arbeitsorientiert sind und ihren Selbstwert sehr stark aus dieser beziehen – kommt es sehr schnell zu körperlichen und psychischen Erkrankungen bis hin zu verstärktem Suchtverhalten.

Wir versuchen von Anfang an ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und durch Beratung, Beschäftigung und durch Qualifizierung beizutragen, dass sie sich weiterentwickeln können und dass sie neue Perspektiven entwickeln. Es geht oft auch darum zu lernen, ohne Arbeit umzugehen und trotzdem ein gutes Leben zu haben.

Wir beraten jährlich über 300 Personen und unterstützen sie mit individuellen Workshops, Arbeitstrainings und Qualifizierungsplätze. Für ca. 150 Personen bieten wir ganz konkrete Beschäftigungsangebote. Zum Angebot gehört aber auch die praktische Lebenshilfe: dass man zum SOMA Markt einkaufen kann und für wenig Geld gemeinsam ein 3-gängiges Menü kocht. So werden Barrieren überschritten und erlebt, dass man auch mit wenig Geld auskommen kann.

Gerda Cara: In unseren Workshops lassen wir auch stark die Prinzipien der Nachhaltigkeit einfließen: die Bewusstmachung unserer Ressourcen, der Müllvermeidung und den richtigen Umgang damit z.B. durch Wiederverwendung und Upcyling von Produkten.

Sie sind schon seit vielen Jahren als Geschäftsführer im sozialökonomischen Betrieb tätig. Wie kommen die Menschen zu Ihnen? Welche Geschichten oder Lebenssituationen stecken dahinter?

Johann Lechner: Grundsätzlich läuft die Information und Zuweisung der Menschen über das AMS oder über Sozialabteilungen. Wir machen dann ein Informations- und Erstgespräch. Oft ist es so, dass die Person einfach aus der Firma herausgefallen ist, weil dort Personal abgebaut worden ist. Manchmal ist es eine Erkrankung und ein längerer Krankenstand, dass Menschen eine Zeit lang nicht arbeitsfähig waren. Oder auch psychische Probleme und Suchterkrankungen. Auch das Alter und die mangelnde berufliche Ausbildung spielen eine Rolle. Es gibt nach wie vor sehr viele Personen, die aus der Pflichtschule kommen und nicht lesen und schreiben können. Wir versuchen sie natürlich weiterzuentwickeln. Früher gab es mehr klassische Hilfsjobs. Heute gibt es keinen Botengänger und Zusammenräumer mehr. Auf einer Baustelle gibt es keinen „Ziegelreicher“, weil die Ziegel mit dem Kran geliefert werden. Und niemand mischt mit der Mischmaschine, da kommt der Betonmischer. Wer keine Berufsausbildung hat, hat inzwischen kaum mehr eine Chance. Und die Firmen nehmen Menschen über 50 Jahren ungern auf, weil sie nicht so flexibel sind oder weil sie teurer sind.

Würden Sie sagen, dass die Langzeitarbeitslosigkeit jede und jeden treffen kann?

Johann Lechner: Ja, inzwischen traue ich mir das zu sagen. Das war vor 20 Jahren nicht so.

Wir hören jeden Monat, dass die Arbeitslosenzahlen sinken. Wir sind aber noch immer weit über der, die wir vor 10 Jahren gehabt haben. Vor allem die Zahl der Menschen, die schon länger als 12 Monate arbeitslos sind, war im Jahr 2008 in ganz Österreich bei 36.000 und ist inzwischen bei über 100.000. Das Problem dabei ist, dass eine ganze Gruppe von Menschen mehr oder weniger abgeschrieben ist und dass man gar nicht mehr rechnet, dass diese noch Anschluss findet. Mit Hartz 4 hat Deutschland erreicht, dass langzeitarbeitslose Menschen aus dem bestehenden regulären Arbeitsmarkt rausgefallen sind.  Leider sind wir in Österreich drauf und dran in dieselbe Richtung zu gehen. Das ist wie mit dem letzten Waggon im Zug: Wenn ich da die Tür absperre, dann gibt es kein zurück nach vorne, nur mehr nach hinten!

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die sich über die Arbeit definiert. Wir könnten jetzt diskutieren, ob der Stellenwert der Arbeit, den wir ihr als Gesellschaft geben, vielleicht zu hoch ist. Es ist aber einfach eine Tatsache, dass es so ist. Es ist wichtig, nicht runterzuschauen auf die Menschen, denn erstens kann es jeden schneller erwischen als man glaubt und zweitens hat die Würde des Menschen nicht  mit Arbeit, Geschlecht, Alter etc. zu tun. Jeder hat Würde, Respekt, Anerkennung und Hilfe verdient. Und jeder Mensch hat Fähigkeiten. Ich kenne kaum jemanden, der seine Fähigkeiten nicht auch in die Gesellschaft einbringen möchte. Wir brauchen für langzeitarbeitslose Menschen Brücken in den ersten Arbeitsmarkt oder, wenn dies nicht möglich ist, einen zweiten Arbeitsmarkt, wo Menschen ihre Fähigkeiten beweisen können und sich als wichtiger Teil der Gemeinschaft erleben.

Mit dem Bau des innovativen „Haus des Lernens“ als Bildungs- und Lernwerkstatt der GESA haben Sie sich den Traum der Nachhaltigkeit verwirklicht. Was ist das Besondere an diesem Haus?

Johann Lechner: Wir haben schon sehr viele Häuser und Wohnungen saniert und mir tat es damals schon sehr leid, dass das Ökologische aus rein finanziellen Gründen immer zu kurz kam. Bei den Menschen ging es ja immer auch um einen Existenzkampf und da war es oft weit weg, sich auch mit der Nachhaltigkeit zu beschäftigen.

Der Bau des Haus des Lernens war eine tolle gemeinsame Herausforderung mit vielen Firmen und dem ecoplus Baucluster, weil mit 90% Naturbaustoffen (Holz, Stroh und Lehm) gearbeitet wurde. Das Haus ist das größte strohgedämmte Holzriegel – Dienstleistungsgebäude in Österreich. Geheizt wird mit einer Wasser-Wasser-Wärmepumpe und sowohl die Rohstoffe als auch die HandwerkerInnen kamen aus der Region. Finanziert wurde das Projekt zu marktüblichen Kosten über eine Bank, einer Förderung des AMS NÖ aber auch über Crowdinvesting. So konnten sich auch Menschen aus der Region beteiligen. Schon in der Bauphase bekamen arbeitslose Menschen über das Projekt „Fit im Handwerk“ eine Qualifizierung im ökologischen Baugewerbe.

Gerda Clara: Heute ist das Haus des Lernens ein Impulsgeber. Aus der Zusammenarbeit hat sich das Projekt natuREbuilt gebildet, welches sich dem Netzwerkaufbau und Wissenstransfer für konsequente ökologische Architektur im großvolumigen Hochbau widmet. Vom Architekten DI Martin Aichholzer wurde das Vorreiterprojekt in Kanada vorgestellt. Es kamen auch schon Personen aus Thailand und Norwegen, das Haus des Lernens zu besichtigen. Jetzt haben wir Seminarräume, Werkstätten, Büros und Beratungsräume, die wir auch anderen zur Verfügung stellen möchten, um z.B. Yogakurse anzubieten. Wir möchten das Haus des Lernens öffnen und auch Seminare zum Thema Nachhaltigkeit anbieten. Mitte Jänner wird das dritte RepairCafe abgehalten, wo man gemeinsam Geräte und Kleidung reparieren und umändern kann. Noch gibt es einige Berührungsängste, aber wir haben ja erst am 29. November eröffnet. Auch verkaufen wir weiterhin unsere Upcyclingprodukte im kleine Verkaufsladen auf der Daniel Gran Straße 36 und organisieren Märkte.

Kurz nachgefragt:

  • Thema des letzten Tischgesprächs?
    Die Zukunft meiner Enkelkinder
  • Was war ihr bisher lustigster oder seltsamster Job?
    Ich habe einen Bioladen aufgebaut und war dort am Anfang der einzige Angestellte. Der Laden war so klein, dass ich die erdigen Karotten vor dem Geschäft beim Kanaldeckel waschen musste. Und genau dann ging ein Schulkollege vorbei. Da zweifelte ich kurz an meiner „Karriere“. Aber es war erfolgreich und am Schluss hatten wir 3 Läden und 17 Angestellte.
  • Sie besitzen ein Abonnement für…?
    Eine ganze Reihe von Museen und einige Zeitschriften.
  • Ihre liebste Freizeitbeschäftigung?
    Weitwandern
  • Welches Talent würde man Ihnen nicht zutrauen?
    Dass ich kochen kann.
  • Skifahren oder Wandern im Schnee?
    Beides mache ich, aber im Schnee gehe ich auch gerne Touren.
  • Welcher Versuchung können Sie nicht widerstehen?
    Mich auch dann den ökologischen und sozialen Themen zu widmen, wenn es besser wäre, ich gebe Ruhe.
  • Das Unwort des Jahres wurde kurz vor Weihnachten gekürt (Datenschutzgrundverordnung): Welches ist Ihr Unwort?
    Wir müssen sparen! Ohne zu hinterfragen, was das im Leben bedeutet.
  • Sie übergeben gerade die operativen Leitungsaufgaben Ihrem Kollegen Matthias Zuser: Gibt es etwas, was Sie unbedingt in der Pension machen möchten?
    Studieren, lesen, mit meinen Enkeln spielen, mit Menschen treffen. Am Donnerstag einfach auf den Markt gehen – ohne Zeitdruck.