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Partnerinnen & Partner

Interview mit Manuel Binder, foodsharing-Gruppe St. Pölten

Beitrag von unserer Bloggerin Daniela Capano

Die Mitglieder der foodsharing Gruppe St. Pölten holen die Lebensmittel von ihren Partnerbetrieben ab und machen sie in Kühlschränken auf öffentlichen Plätzen für alle zugänglich.

Manuel Binder von der foodshring Gruppe St. Pölten im Interview
Lebensmittel sind zu kostbar für den Müll!

Foodsharing Initiativen engagieren sich gegen Lebensmittelverschwendung. Sie retten ungewollte oder überproduzierte Lebensmittel von kleinen und großen Betrieben sowie Haushalten. Die Mitglieder der foodsharing Gruppe St. Pölten holen die Lebensmittel von ihren Partnerbetrieben ab und machen sie in Kühlschränken auf öffentlichen Plätzen für alle zugänglich. So setzen sie ein Zeichen gegen den Wegwerftrend von noch genießbaren Nahrungsmitteln.

Herr Binder, die foodsharing-Initiative entstand 2012 in Deutschland. Mittlerweile ist sie zu einer internationalen Bewegung in Deutschland, Österreich, der Schweiz und weiteren europäischen Ländern herangewachsen. Was hat Sie dazu gebracht, foodsharing in St. Pölten einzuführen? Gibt es noch andere Gruppen in Niederösterreich, Österreich?

Der Start in St. Pölten war im Herbst 2018 und ist eigentlich von den vier Gründerinnen ausgegangen, die in St. Pölten Diätologie und Physiotherapie studiert haben. Im ersten Jahr haben auch hauptsächlich Leute aus dem Studentinnen- und Studentenkreis mitgeholfen. Im vergangenen Jahr sind dann Schritt für Schritt immer mehr Ansässige dazugekommen. Das ist gut, denn sonst würde die Ortsgruppe in der Form nicht mehr existieren, weil Studenten/innen irgendwann mit dem Studium fertig sind und dann viele von St. Pölten weggehen. Ich bin auch nachträglich dazugekommen und seit circa 1,5 Jahren mit dabei. Mich hat es persönlich sehr interessiert, weil ich aus der Lebensmittelbranche komme und das mit dem Entsorgen immer ein riesiges Thema war und ist. Ich bin gelernter Bäcker und habe immer die Mengen gesehen, die zu viel produziert wurden. In der Bäckerei weiß man nur ungefähr, was verkauft wird. Am Ende des Tages kommt leider immer Retourware. Das kann man trotz sehr guter Kalkulation nicht vermeiden.

Die foodsharing Gruppen sind überregional vernetzt über die gemeinsame europaweite Plattform foodsharing.de und wir arbeiten alle eng zusammen. In Österreich gibt es soweit ich weiß Gruppen in Linz und Umgebung, Krems, Baden, Wien -mit allen Untergruppierungen. Auch in Graz, Klagenfurt, Innsbruck und Salzburg gibt es foodsharing Gruppen. In Tirol gibt es zwei – eine in Innsbruck und eine im Großraum Wörgl. Und dann vermutlich noch einige, die ich nicht kenne.

Ihre Gruppe in St. Pölten umfasst jetzt 20-25 aktive Mitglieder. Wie können sich unsere LeserInnen die praktische Umsetzung vorstellen? Wie funktioniert es und wer kann aller mitmachen?

Mitmachen kann generell jeder/jede, der/die sich auf der Plattform registriert. Dort gibt es viele Infos zu uns und zur Qualitätssicherung müssen sie ein kleines Quiz bestehen, um sicherzugehen, dass die zukünftigen AbholerInnen zumindest eine Ahnung haben von dem, wie der Ablauf im Betrieb sein soll und worauf man besonders bei den Betrieben achten sollte. Auch Hygiene- und Kühlkettenvorschriften sind Themen im Quiz. Nach dem Bestehen müssen drei Einführungsabholungen mit erfahrenen AbholerInnen gemacht werden. Dadurch wird man dann freigeschaltet, bekommt seinen eigenen Ausweis und kann sich selbstständig für die Abholungen über die Plattform eintragen – europaweit. Wenn man jetzt zum Beispiel nach Berlin zieht oder dort auf Urlaub ist kann man theoretisch dort genauso mitmachen, wenn man sich rechtzeitig bei der Ortsgruppe meldet.

Die Lebensmittel, die von den Partnerbetrieben aussortiert werden, werden dann je nach Menge von bis zu vier Leuten abgeholt. Die verteilen die Lebensmittel danach privat und bringen die restlichen Sachen, die sie nicht an den Mann/ die Frau bringen können in die öffentlich zugänglichen Kühlschränke (sogenannte Fairteiler).

Wer sind Ihre PartnerInnen bzw. wie kommen Sie zu den Betrieben?

In St. Pölten arbeiten wir mit dem Nah & Frisch in Inzersdorf und mit der Egger Brauerei zusammen. Die melden sich bei uns, wenn irgendeine Charge fehlbestellt wurde oder sie aus anderen Gründen Lebensmittel für uns haben. Zusätzlich holen wir regelmäßig beim denn’s Biomarkt ab und alle paar Wochen oder Monate beim prokopp. Betriebe, die zu Ketten gehören, wie der prokopp und der denn’s werden von der Österreich-Zentrale ausgemacht. Es gibt österreichweit eine digitale Liste, welche Betriebe angesprochen werden. Da sind wir dann als Ortsgruppe lediglich für die Umsetzung zuständig. Franchisenehmerinnnen oder andere Einzelunternehmerinnen schreiben oder reden wir selbst an, ob sie mit uns zusammenarbeiten möchten. Den Nah & Frisch in Inzersdorf habe z.B. ich damals angeworben. Für unsere Kooperationen muss man als Gruppe immer schauen, dass man ein verlässliches Team zusammenstellt. Wir haben Betriebsverantwortliche, die sich um die Organisation und die Kommunikation mit dem Betrieb kümmern und die Koordinierung der AbholerInnen im Team übernehmen, denn oft braucht man ein größeres Team, damit man die Abholungen auch in Krankheits- und Urlaubszeiten gut managen kann.

Welche Lebensmittel bleiben Ihrer Erfahrung nach besonders oft übrig? Ist es Gemüse oder Brot oder anderes? Und wer sind Ihre AbnehmerInnen?

Von den Lebensmitteln bekommen wir eigentlich alles was innerhalb weniger Tage oder Wochen ablaufen kann, mit Ausnahme von stark verderblichen Lebensmitteln, wie rohes Fleisch oder roher Fisch und z.B. Rohmilch. Solche Produkte können wir nicht verwenden, selbst wenn sie übrig bleiben, weil es einfach von der Kühlkette zu heikel ist. Sonst gibt es alles, vom Joghurt, über nicht ganz schöne Äpfel, überreife Bananen, Salatköpfe, manchmal auch Wurst und Schnittkäse. Es ist die volle Bandbreite, je nachdem was halt grad übers Haltbarkeitsdatum fällt und nicht mehr rechtzeitig verkauft werden konnte.

Unsere AbnehmerInnen sind derzeit überwiegend Studentinnen und Studenten aber auch einige Einheimische/ Berufstätige finden den Weg zu unseren Kühlschränken. Es ist ganz egal, wer sich was abholt. Bei uns kann jeder kommen und es kommt auch jeder, dem die Lebensmittel was wert sind.

Ist foodsharing dabei nicht eine Konkurrenz zu etablierten Organisationen wie z.B. die Sozialmärkte? Was unterscheidet den foodsharing-Ansatz von dem diverser anderer Organisationen?

Konkurrenz auf gar keinen Fall, wir arbeiten ja alle in dieselbe Richtung. Unser großes Ziel ist es, Lebensmittel, die der reguläre Handel nicht mehr verkaufen kann, trotzdem an die Leute zu bringen und sie nicht irgendwo vergammeln zu lassen. Ein großer Unterschied ist, dass die Sozialmärkte nur für gewisse Gruppen zugänglich sind. Unsere Kühlschränke sind für absolut alle zugänglich. Es kann auch jeder und jede der/die zum Sozialmarkt geht, dort einkauft danach noch bei uns vorbeischauen. Umgekehrt geht’s halt bei vielen nicht, weil sie keine Berechtigung haben, dort einzukaufen. Ein weiterer Unterschied ist natürlich, dass unsere Kühlschränke nicht die Verpflichtung haben, immer voll zu sein. Wenn ich mir was raus nehme, dann ist es weg. Die Erwartungshaltung ist da ganz anders. Es sind ganz andere Ebenen, das eine ist ein Betrieb, wir sind ein gemeinnütziger Verein und wir bekommen auch nichts dafür, abgesehen von den Lebensmitteln, die wir selbst entnehmen.

Die foodsharing-Gruppe St. Pölten gibt es jetzt seit fast 2 Jahren. Was ist Ihnen in dieser Zeit besonders gut gelungen? Welche Tipps würden Sie anderen mit auf dem Weg geben, die auch eine foodsharing- Gruppe in ihrer Stadt bzw. Gemeinde gründen möchten?

Die Mundpropaganda funktioniert in St. Pölten wirklich gut, danke an alle Beteiligten! Wir sind bekannt geworden und das ist super. Dadurch kommen von Zeit zu Zeit neue Menschen dazu, denen Lebensmittelrettung auch ein Anliegen ist. Dadurch ist über die zwei Jahre schrittweise ein Spitzenteam zusammengekommen, das sich bei ganz vielen Dingen rund um foodsharing super auskennt und auch Neuzugängen gut unter die Arme greifen kann.

Neuen Gruppen möchte ich mitgeben, sich mit anderen auszutauschen und nachzufragen, wie es dort funktioniert: Wie und an wen man herantritt, welche Einrichtungen und Verantwortlichen wichtig sind einzubeziehen, auf welchen Plätzen offene Kühlschränke geeignet sind etc. Wir haben zwar auf der Plattform viele Informationen gesammelt (foodsharing-Wiki). Allerdings ist der persönlichen Kontakt Gold wert.

Vielen Dank für den Einblick in ihren Verein.

Kurz nachgefragt:

  • Morgen- oder Abendmensch?
    Alles in einem: Ich bin Koch und Bäcker und daher zu jeder Tages- und
    Nachtzeit produktiv.
  • Was darf in Ihrem Kühlschrank nie fehlen?
    Naturjoghurt
  • Ich würde gerne einmal für einen Tag ….
    …eine Rede im Nationalrat halten.
  • Ohne Internet würde ich …
    …auf Dauer eine schwere Zeit haben. Unser foodsharing-System würde ohne Internet in dieser Form auch nicht mehr funktionieren.
  • Bei welchem Film oder Serie haben Sie zuletzt laut gelacht?
    One Piece
  • Schwimmbad oder Badesee?
    See
  • Welcher Versuchung können Sie nicht widerstehen?
    Germknödel von der Oma
  • Wenn ich in 10 Jahren auf das Jahr 2020 zurückschaue, sehe ich….
    …viele Stunden am Computer.
  • Ihr liebstes „Resterezept“ gegen Lebensmittelverschwendung
    Hascheeknödel, Knödel gehen immer!